SAPV Interview mit Nicole Schäfer

Von Sterbenden lernen heißt leben lernen

Geschrieben von am 10. Juli 2017
Kategorie: Palliativpflege

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Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (kurz SAPV) ermöglicht es Menschen mit letalen Krankheiten, den letzten Weg ihres Lebens zu Hause zu gehen. Dabei werden sie von SAPV-Mitarbeitern begleitet, die ihnen diesen Weg so angenehm wie möglich gestalten. Zu ihrer Arbeit in der SAPV haben wir Nicole Schäfer, die schon seit 2000 bei uns ist, einige Fragen gestellt.

Wie bist Du zur SAPV gekommen?

Ich habe schon im Jahr 2000 bei der Jedermann Gruppe angefangen, damals als Praktikantin. Später haben sie mich gefragt, ob ich Lust hätte, als Hilfskraft bei ihnen zu arbeiten. Und die hatte ich!
Und nach 2 Jahren hat man mir dann ermöglicht, meine Fachkraftausbildung zu machen, und dann noch den Palliative Care Kurs oben drauf zu setzen. Und so habe ich dann im Hospiz angefangen zu arbeiten, später dann in der SAPV.

Wer sind die Patienten in der SAPV?

Unsere Patienten kommen aus jedem sozialen Bereich und aus jeder Altersklasse, das ist wirklich immer unterschiedlich. Vom Krankheitsbild her handelt es sich aber hauptsächlich um Tumor- und Krebspatienten. Patienten, die sich in den letzten Tagen ihres Lebens befinden. Manche Patienten betreut man vielleicht 1-2 Wochen, und dann gibt es Patienten, die hat man auch eine längere Zeit, ein halbes Jahr bis Jahr.
In der Regel habe ich 6-7 Patienten, je nachdem, mit welchem Zeitaufwand sie betreut werden müssen. Vielleicht sind es auch mal 3-4 am Tag, je nachdem, was gerade so anliegt.

Warum arbeitest du gerne in der SAPV?

Ich finde, dass es eine unglaublich wichtige Rolle ist, die man in der SAPV einnimmt. Wir können den Menschen vieles leichter und angenehmer machen.
An gewissen Punkten ist die Palliativpflege tatsächlich auch „leichter“: Die Anspannungen, die mit dem „Fordern-und-fördern“-Prinzip in der „normalen“ Pflege verbunden sind, die gibt es in der SAPV nicht. Unsere Arbeit zielt einzig und allein darauf ab, unseren Patientinnen und Patienten ihren Tag so schmerzlos und so angenehm wie möglich zu gestalten. Und dafür tun wir alles, was wir können. Dafür ist es natürlich wichtig, in der Palliativpflege spezialisiert zu sein. Viele Dinge sind anders als in der Alten- oder Krankenpflege, und das muss man wissen – und dafür gibt‘s den Basiskurs für Palliative Care.

Wie persönlich wird denn das Verhältnis zu deinen Patienten?

Manchmal sehr persönlich. Man lernt im Palliative Care Kurs auch, vieles nicht zu nah an sich herankommen zu lassen. Natürlich geht man emotional in die Sache rein – man muss sich ja auch einfühlen können. Aber man lernt auch, zu wissen, wann es einem zu viel wird.
Wenn ich zu oft bei einem Patienten bin und es anfängt, mir zu nahe zu gehen, dann schaue ich mal mit den Kollegen, ob nicht jemand das teilweise für mich übernehmen kann, wodurch ich mich selbst ein Stück weit schützen kann. Und das klappt eigentlich immer ganz gut. Ich muss sowieso sagen, dass Teamarbeit in der SAPV unglaublich wichtig ist und dass das bei uns auch super funktioniert – ohne Teamarbeit gäbe es keine SAPV.

Wie erleichtert man Patienten den Alltag?

Ganz viele haben ausdrücklich den Wunsch, zuhause zu bleiben. Und wir versuchen, das möglich zu machen: Mit einem Team von Ärzten und Therapeuten und auch der Apotheke.
Das läuft zwar nicht immer reibungslos, aber oft klappt es auch prima. Nicht zuletzt hängt das von der Krankheit des Patienten ab.

Wie ist es für dich, einem Menschen an seinem Lebensende beizustehen?

So verschieden die Leute sind, so verschieden sind auch die Situationen. Ich muss sagen, dass erstens die Menschen viel ehrlicher sind, und zweitens habe ich für mich im Laufe der Jahre die Erfahrung gemacht: Von Sterbenden lernen heißt leben lernen. Man denkt über manche Sachen komplett anders, man hinterfragt manche Sachen mehr.

Worüber denkst du zum Beispiel anders?

Wir hatten mal eine junge Patientin, Mitte Zwanzig, die während der Schwangerschaft erkrankt ist. Da war dann die Frage: "Was passiert mit den Kindern hinterher?" Man denkt ja immer: "Ach, das betrifft mich noch nicht! Ich hab ja noch so viel Zeit." – Zeit hat man nicht wirklich, wenn man solche Sachen vor Augen kriegt. Ich überlege dann auch: Kann ich vielleicht schon irgendwas regeln, was meine Kinder betrifft? Zum Beispiel, wer sich um meine Kinder kümmern könnte, sollte etwas passieren.

Viele der Patienten sagen: "Wissen Sie, Schwester, ich hab Kohle gespart, und jetzt bin ich krank, und jetzt habe ich nix von der Kohle." Und das stimmt ja. Warum soll ich das, was ich habe, nicht jetzt nutzen? Das geht manchmal wirklich so schnell. Innerhalb von ein paar Monaten krempelt sich das Leben komplett um, man hat Vorsorge getroffen, man kann sie aber nicht nutzen. Man lernt also, dass man auch intensiver leben sollte.

Ich mache auch viele Sachen inzwischen ganz anders, als ich sie noch vor zehn Jahren gemacht hätte.

Zum Beispiel gönne ich mir selbst Auszeiten. Also man ist in seinem tagtäglichen Tun immer damit beschäftigt, arbeiten zu gehen, den Haushalt zu machen, sich um die Kinder zu kümmern, eben immer zu gucken, dass alles seinen gewohnten Gang geht. Und ich habe irgendwann einmal für mich beschlossen, ich brauche so dann und wann einmal ein zwei Tage komplett für mich alleine, um einfach nur das zu machen, was ich auch machen möchte. Das kann sein, dass ich mich spontan mal ins Auto setze, in irgendeine Stadt fahre und mir etwas angucke. Solche Sachen zum Beispiel. Und solche Sachen passieren auch mal ganz spontan. Die Kinder sind in der Schule, der Mann ist arbeiten, dann denke ich mir: Ach, heute machen wir das! Dann setze ich mich ins Auto und weg.
Und das ist dann immer ein tolles Erlebnis!

Vielen Dank für das Gespräch, Nicole! Wir wünschen dir weiterhin viel Freude und viel Erfolg in deinem Beruf – und natürlich auch sonst!

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