Das Angehörigen-Entlastungsgesetz
Geschrieben von am 8. September 2019
Kategorie: Pflegegesetze
Am 14.08.2019 hat das Bundeskabinett das Angehörigen-Entlastungsgesetz beschlossen. Was ist das Angehörigen-Entlastungsgesetz genau? Wer profitiert? Und wer zahlt?
Angehörigen-Entlastungsgesetz: Änderungen und Ziele
Das Angehörigen-Entlastungsgesetz will, wie der Name bereits sagt, Angehörige von pflegebedürftigen Kindern bzw. Eltern entlasten. Dies geschieht durch die Stärkung der Rechte und Ansprüche von Angehörigen sowie von Menschen mit Behinderungen.
Die größte Änderung des Gesetzes ist, dass Angehörige erst ab einem Jahreseinkommen von 100.000€ brutto den Unterhalt für ihre Eltern/Kinder übernehmen müssen, wenn diese das nicht alleine schaffen. Bisher lag die Grenze hierfür bei 21.600€ brutto für Alleinstehende und 38.800.€ brutto für Familien.
Einzelne Punkte des Gesetzes
- Das Angehörigen-Entlastungsgesetz verfügt, dass Angehörige erst ab einem Bruttojahreseinkommen von 100.000€ für ihre pflegebedürftigen Eltern bzw. Kinder zahlungspflichtig werden, wenn diese ihren Unterhalt nicht selbst bezahlen können. Die Ausnahme sind Eltern minderjähriger Kinder, da der Unterhalt nicht beeinträchtigter minderjähriger Kinder ebenfalls von den Eltern getragen wird. Damit will man eine Übervorteilung vermeiden.
- Ein Budget für Ausbildung soll es Menschen mit Behinderungen ermöglichen, auch eine reguläre betriebliche Ausbildung zu absolvieren. Dies war bisher nur in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen möglich.
- Künftig haben Menschen mit Behinderungen einen grundsätzlichen Anspruch auf die Grundsicherung im Alter sowie bei Erwerbsminderung, wenn sie im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung sind. Auch gilt das für Menschen mit Behinderungen, die ein Ausbildungsbudget erhalten, für die Dauer der Ausbildung.
- Eine Gesetzesanpassung sorgt dafür, dass Menschen mit Behinderung nicht von der Trennung von Leistungen der Eingliederungshilfe und Lebensunterhalt benachteiligt werden. Diese Trennung wird zum Januar 2020 nach SGB XII vollzogen.
Indem die bezogene Rente oder andere laufende Einkommen nicht angerechnet werden, wird sichergestellt, dass der Lebensunterhaltsbedarf zur Verfügung steht, wenn er gebraucht wird. - Wenn eine Arbeitsassistenz benötigt wird, wird nicht mehr von den Integrationsämtern geschätzt, wie viel Geld dafür benötigt wird. Künftig wird das nach SGB IX geregelt.
Wann wird das Gesetz in Kraft treten?
Ob das Gesetz in dieser Form in Kraft treten wird, bleibt abzuwarten. Der Entwurf wird an den Bundestag weitergeleitet, der dem Gesetz dann ebenfalls noch zustimmen muss. Dennoch ist geplant, dass das Gesetz am 01. Januar 2020 in Kraft tritt.
Wie war es vorher?
Da Angehörige wie bereits erwähnt schon ab einem Bruttojahreseinkommen von 21.600€ (bei Alleinstehende) bzw. 38.800€ (bei Familien) in die Unterhaltspflicht genommen wurden, bedeutete die Pflegebedürftigkeit eines Menschen, der Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nahm, oft eine extreme finanzielle Belastung. Der Eigenanteil für einen Platz im Pflegeheim liegt bei circa 1.800€ im Monat.
Zur Info
Wir haben bereits anderenorts beschrieben, was auf Angehörige zukommt, wenn ein Mensch pflegebedürftig wird. Mehr Infos erhalten Sie im Beitrag „Mein Angehöriger wird pflegebedürftig – was kommt auf mich zu?„
Das wissen natürlich auch die pflegebedürftig gewordenen Eltern. Die Konsequenz ist oft: „[Ältere Menschen] gehen nicht ins Heim, obwohl sie zu Hause nicht mehr ausreichend versorgt werden können, damit ihre Kinder nicht belastet werden.“ So äußerte sich VdK-Präsidentin Verena Bentele in den Funke-Zeitungen.
Kundgebung des BMAS zum Angehörigen-Entlastungsgesetz
Mit dem #AngehörigenEntlastungsgesetz entlasten wir Eltern und Kinder von pflegebedürftigen Angehörigen nachhaltig und spürbar. Das Gesetz ist heute im #Kabinett verabschiedet worden. Mehr Informationen gibt es im Video & hier: https://t.co/X17Feigom7 #AngehörigeEntlasten pic.twitter.com/GDCPT8egMx
— BMAS (@BMAS_Bund) August 14, 2019
Wer profitiert von dem Gesetz?
Es profitieren alle Angehörigen mit einem Einkommen von über 21.600€ (Alleinstehende) bzw. über 38.800€ (Familien) bis 100.000€, die pflegebedürftige Eltern bzw. Kinder haben, welche Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nehmen.
Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil, der das Gesetz auch eingebracht hat, schätzt, dass 55.000 Leistungsempfänger in Deutschland betroffen seien. Hinzu kämen Eltern von Kindern mit Behinderung. Dies würde 220.000 weitere Menschen ausmachen, die vom Angehörigen-Entlastungsgesetz profitieren würden. Der Städterat schätzt diese Zahlen allerdings weitaus höher: Neun von zehn Angehörigen, die gerade die Pflege ihrer Eltern bzw. Kinder mitzahlen, würden aus der Pflicht genommen werden.
Auch wird vom Städterat befürchtet, dass mit dem Gesetz mehr Leute ins Heim ziehen, da die Kosten dafür nun entfallen, und die Zahl somit nochmals ansteigt.
Was kostet das Angehörigen-Entlastungsgesetz und wer zahlt?
Mit den von Heil geschätzten Zahlen rechnet man mit Kosten von 300 Millionen € im Jahr. Diese Kosten sollen von den Kommunen getragen werden. Allerdings wird argumentiert, dass die Kommunen auch sparen würden, da weniger Angehörige steuerliche Vorteile beanspruchen könnten.
Stimmen gegen und für das Gesetz
Kritik kommt aus einigen Richtungen, vor allem von Seiten der Kommunen. Sie befürchten eine horrende Mehrbelastung. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund will die Mehrbelastung der Kommunen deshalb vom Bund ausgeglichen haben.
"Einerseits plant die Bundesregierung zu Recht die hoch verschuldeten Kommunen von ihren Altschulden in Milliardenhöhe zu entlasten, andererseits werden mit einem Federstrich im Gesetz neue Milliardenbelastungen auf den Weg gebracht, um Besserverdiener von eigentlich selbstverständlichen familiären Verpflichtungen zu befreien", äußert sich Hautgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) Gerd Landsberg zu dem Gesetz. Offen bleibt dabei freilich, wen er als Besserverdiener ansieht.
Vom DStGB kommt ein weiterer Kritikpunkt: Das Solidaritätsprinzip in der Familie würde durch das Gesetz ausgekoppelt werden.
"Es ist grundsätzlich zumutbar, dass Kinder und Eltern gegenseitig füreinander einstehen. Daran sollte nicht gerüttelt werden."
Dazu äußert sich wiederum Hubertus Heil: „Es ist keine Aufkündigung der Solidarität, weil die Gesamtgesellschaft Solidarität ausübt – und damit Menschen unterstützt.“ Außerdem würde die Unterstützung durch die Kommunen nicht gleichbedeutend damit sein, dass Kinder sich nicht mehr um ihre Eltern kümmern würden.
Positiver Rückhalt kommt aus vielen Behindertenverbänden, wie auf der BMAS-Seite unter "Stellungnahmen" ersichtlich ist.
Weitere Fragen zum Angehörigen-Entlastungsgesetz
Das BMAS hat eine FAQ-Rubrik zu diesem Gesetz erstellt, die auf viele Fragen antwortet.